Coronavirus lässt Wirtschaft schrumpfen
Bern, 19.03.2020 - Konjunkturprognose der Expertengruppe des Bundes – Frühjahr 2020 - Die Expertengruppe erwartet, dass die Schweiz 2020 in eine Rezession fällt. Die Verbreitung des neuen Coronavirus im In- und Ausland legt Teile der Wirtschaft vorübergehend still. Vorausgesetzt, dass sich die epidemiologische Lage stabilisiert, sollte sich die Konjunktur ab der zweiten Jahreshälfte schrittweise erholen. In diesem Fall ergäbe sich für 2021 ein hohes BIP-Wachstum, das es aber dennoch nicht ermöglicht, das zuvor erwartete BIP-Niveau zu erreichen. Die Prognoseunsicherheit ist zurzeit aussergewöhnlich hoch.
Die Expertengruppe des Bundes prognostiziert für 2020 einen Rückgang des Sporteventbereinigten BIP in Höhe von −1,5 % (Prognose von Dezember 2019: +1,3 %). Unter Berücksichtigung der aktuell noch geplanten internationalen Sportveranstaltungen entspricht dies einem Rückgang des BIP von −1,3 %.
Die Schweizer Wirtschaft ist über verschiedene Kanäle von der Verbreitung des neuen Coronavirus betroffen. Zum einen hinterlassen das Virus und die damit verbundenen Massnahmen in der ersten Jahreshälfte 2020 einschneidende Spuren bei wichtigen Handelspartnern. Die zuvor erwartete Aufhellung der internationalen Konjunktur wurde jäh unterbrochen. Damit sind exponierte Schweizer Branchen von massiven Umsatzrückgängen betroffen, etwa der Tourismus und das Transportgewerbe, aber auch konjunktursensitive Bereiche der Industrie. Auch ist aufgrund von Produktionsausfällen im Ausland und erschwerter Transportbedingungen mit einer Beeinträchtigung internationaler Lieferketten zu rechnen. Angesichts der ausserordentlich grossen Unsicherheit hat sich der Schweizer Franken seit Jahresbeginn tendenziell aufgewertet. Die Expertengruppe prognostiziert in Summe, dass die Exporte erstmals seit 2009 stark zurückgehen.
Zum anderen ist die Schweiz auch direkt vom Coronavirus betroffen. Angesichts steigender Fallzahlen im Inland wurden zum Schutz der Gesundheit Massnahmen notwendig, welche Teile der Wirtschaft stark beeinträchtigen; gleichzeitig ist mit einer weiteren Ausbreitung des Virus zu rechnen. Zahlreiche Unternehmen müssen den Betrieb temporär einschränken oder einstellen, insbesondere im Gastgewerbe und in anderen Dienstleistungsbranchen. Dementsprechend brechen Ausgaben für Freizeit, Reisen aber auch langlebige Konsumgüter temporär ein. Trotz einiger Nachholeffekte im weiteren Verlauf ist für das Gesamtjahr 2020 ein Rückgang des privaten Konsums zu erwarten. Aufgrund des unsicheren Umfelds und der sinkenden Auslastung der Kapazitäten dürften die Unternehmen ihre Investitionen stark zurückfahren und Beschäftigung abbauen. Gleichzeitig sollte die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigen (2,8 % im Jahresdurchschnitt, Prognose von Dezember: 2,4 %).
Das Ausmass der Virusverbreitung in der Schweiz und international sowie ihr zeitlicher Verlauf können derzeit nur schwer abgeschätzt werden. Unter der Voraussetzung, dass sich die epidemiologische Lage im Verlauf von 2020 stabilisiert, erwartet die Expertengruppe in der zweiten Jahreshälfte und für das kommende Jahr eine Wiederbelebung der Konjunktur. Temporär unterbrochene Wirtschaftsaktivitäten und Lieferketten könnten grösstenteils wieder aufgenommen werden; die Exportwirtschaft würde von einer anziehenden Nachfrage im Ausland profitieren; die Beschäftigung sowie die Konsum- und Investitionsausgaben wieder ansteigen. Damit würde das BIP der Schweiz wieder wachsen.
Ausgehend vom deutlich tieferen BIP-Niveau 2020, ergäbe sich für 2021 ein stärkeres Wirtschaftswachstum als in der Vorprognose angenommen: +3,3 %, wobei die Wachstumsrate 2021 nicht durch Sportevent-Effekte beeinflusst wird (Prognose von Dezember: 1,6 % Sporteventbereinigt). Die Expertengruppe geht davon aus, dass das BIP trotz Aufholeffekten bis Ende 2021 unter dem Niveau bleibt, das ohne Coronavirus zu erwarten gewesen wäre. Auch bei der Arbeitslosigkeit ist über den gesamten Prognosehorizont mit starken Effekten zu rechnen (Jahresdurchschnitt 2021: 3,0 %, Prognose von Dezember: 2,6 %).
Konjunkturrisiken
Die Prognoseunsicherheit ist derzeit ausserordentlich hoch. Sollte sich das Virus stärker ausbreiten und dadurch kurzzeitig noch strengere Einschränkungen der ökonomischen Aktivität nötig machen als angenommen, wäre für 2020 mit einem noch schärferen Einbruch der Konjunktur zu rechnen. Dann dürften sich jedoch für 2021 auch grössere Nachholeffekte ergeben. Umgekehrt wäre es denkbar, dass aufgeschobene Konsumausgaben im Verlauf von 2020 stärker nachgeholt werden, als in der Prognose unterstellt.
Sollten zum Schutze der Bevölkerung sehr einschneidende Massnahmen über einen längeren Zeitraum nötig werden, wären dagegen gravierende wirtschaftliche Auswirkungen über den gesamten Prognosehorizont zu erwarten. Eine schwache Nachfrage im Ausland und längere Unterbrechungen der Lieferketten hätten anhaltende Folgeeffekte in verschiedenen Wirtschaftsbereichen. Die Erholung dürfte später einsetzen und zögerlicher verlaufen; das Produktionspotenzial der Volkswirtschaft wäre dementsprechend stärker betroffen.
Die internationale Verbreitung des Coronavirus verstärkt zudem einige bereits bestehende Konjunkturrisiken deutlich. Insbesondere könnten sich angesichts der hohen Verschuldung von Staaten und Unternehmen die Risiken im Hinblick auf die Stabilität des Finanzsystems akzentuieren, falls es international im Zuge der Pandemie verbreitet zu Liquiditätsproblemen und Kreditausfällen insbesondere im Unternehmenssektor kommen sollte. Auch das Risiko von Finanzmarktturbulenzen und eines weiteren Aufwertungsdrucks auf den Franken ist erhöht.
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