Soziale Kriterien: die IAO-Kernübereinkommen in der Schweizer Gesetzgebung
Verschiedene Schweizer Rechtserlasse verweisen direkt auf die Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). So wird als Mindestanforderung für eine Befreiung von der Mineralölsteuer auf Treibstoffe aus erneuerbaren Rohstoffen (biogene Treibstoffe) oder bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen die Einhaltung dieser Kernübereinkommen verlangt.
Biogene Treibstoffe
Zur Förderung von biogenen Treibstoffen sieht die Schweizer Gesetzgebung vor, dass diese von der Mineralölsteuer befreit werden können, wenn gewisse Anforderungen erfüllt sind. So müssen etwa die Produktionsbedingungen sozial annehmbar sein und der Anbau der Rohstoffe für die Produktion biogener Treibstoffe darf nur auf Flächen erfolgt sein, die rechtmässig erworben wurden (Art. 12b Abs. 1 Bst. d und e MinöStG, SR 641.61). In Artikel 19d, Absatz 1, Buchstabe b der Mineralölsteuerverordnung (MinöStV, SR 641.611) heisst es zu den sozialen Kriterien noch präziser: «Die Anforderungen an die sozial annehmbaren Produktionsbedingungen sind erfüllt, wenn beim Anbau der Rohstoffe und bei der Herstellung der biogenen Treibstoffe die am Anbauort und am Herstellungsort anwendbare soziale Gesetzgebung, zumindest aber die Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO/ILO) eingehalten werden.»
Nur Importeuren und Herstellern, die glaubhaft machen konnten, dass ihre Treibstoffe diese Mindestanforderungen erfüllen, wird eine entsprechende Steuererleichterung gewährt. Importeure und Hersteller müssen jeweils mit einer persönlichen Erklärung bestätigen, dass diese Anforderungen erfüllt sind. Die Glaubhaftmachung in Bezug auf die Einhaltung der sozialen Kriterien wird direkt vom SECO geprüft. Die entsprechenden Informationen werden an dem Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit weitergeleitet, die dann formal über die Gewährung oder Nichtgewährung der Steuererleichterung entscheidet.
Internetseite des Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit
Seit dem 1. Januar 2021 sind die Änderungen des Bundesgesetzes und der Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB bzw. VöB) in Kraft. Die revidierte Gesetzgebung bezweckt den wirtschaftlichen und den volkswirtschaftlichen, ökologischen und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel (Art. 2 Bst. a BöB).
Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch den Bund müssen Anbieterinnen bzw. Anbieter die Arbeitsschutzbestimmungen und die Arbeitsbedingungen einhalten sowie die lohnmässige Gleichbehandlung der Geschlechter sicherstellen (soziale Kriterien).
Für im Ausland zu erbringende Leistungen werden öffentliche Aufträge nur an Anbieterinnen bzw. Anbieter vergeben, die mindestens die Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) einhalten (Art. 12 Abs. 2 BöB). Wenn die am Ort der Leistung geltenden rechtlichen Vorschriften strenger sind, müssen diese von den Anbieterinnen bzw. Anbietern befolgt werden. Als wesentliche internationale Arbeitsstandards kann die Auftraggeberin neben den IAO-Kernübereinkommen die Einhaltung von Prinzipien aus weiteren IAO-Übereinkommen verlangen, soweit die Schweiz sie ratifiziert hat (Art. 4 Abs. 2 VöB).
Das SECO unterstützt die öffentlichen Beschaffungsstellen bei der Umsetzung dieser Vorgaben und berät die Bedarfsstellen bei Fragen zur Einhaltung der sozialen Kriterien.
Die Empfehlungen für eine nachhaltige Beschaffung der Beschaffungskonferenz des Bundes (BKB) enthalten detaillierte Informationen zu den sozialen Kriterien und deren Kontrolle.
Nachhaltige Beschaffung – Empfehlungen für die Beschaffungsstellen des Bundes
Die Wissensplattform nachhaltige öffentliche Beschaffung WÖB wird laufend aktualisiert und mit neuen Instrumenten und Empfehlungen ergänzt. https://www.woeb.swiss/.
Instrument zur Bewertung des Risikos einer Nichteinhaltung der IAO-Kernübereinkommen
Um die tatsächliche Einhaltung der IAO-Kernübereinkommen zu überprüfen, müssen die Behörden, die für die Umsetzung dieser Bestimmungen zuständig sind, Nachweise verlangen.
Die ordnungsgemäss ausgefüllte und unterzeichnete persönliche ehrenwörtliche Erklärung stellt regelmässig einen rechtsgenüglichen Nachweis da. Wenn jedoch ein Risiko der Nichteinhaltung besteht, werden die Behörden dazu angehalten, zusätzliche Nachweise zu verlangen oder Nachweise von Vor-Ort-Kontrollen durch Audits zu erbringen.
Um die für die Umsetzung dieser Bestimmungen zuständigen Behörden zu unterstützen, hat das SECO in Zusammenarbeit mit der IAO ein Instrument zur Bewertung des Risikos einer Nichteinhaltung der IAO-Kernübereinkommen entwickelt. Dieses Instrument soll in Form von Risikobewertungen klare, einfache und transparente Informationen über die Situation in den einzelnen Ländern in Bezug auf die Umsetzung der zehn Kernübereinkommen liefern. Diese Informationen können neben anderen Elementen bei der Entscheidungsfindung darüber, ob eine Prüfung vor Ort durchgeführt werden soll oder nicht, herangezogen werden.
Der Zugang zu diesem Instrument kann hier beantragt werden