Die nachfolgenden Antworten beziehen sich auf Arbeits- vertragsverhältnisse des Privatrechts. Wir weisen darauf hin, dass in diesem Bereich nur der Zivilrichter befugt ist, im Streitfall eine Entscheidung zu treffen. Den nachfolgenden Antworten kommt deshalb die Bedeutung einer unverbindlichen Stellungnahme zu. Öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse wie Anstellungen in der Verwaltung oder in staatlichen Unternehmen unterstehen meist eigenen Regeln, sodass die nachfolgenden Antworten für sie nicht oder nur eingeschränkt gelten.
Das Arbeitsvertragsrecht ist in den Art. 319 - 362 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) geregelt. Das OR enthält auch Bestimmungen über besondere Einzelarbeitsverträge, wie der Lehrvertrag (Art. 344 - 346a), der Handelsreisendenvertrag (Art. 347 - 350a) und der Heimarbeitsvertrag (Art. 351 - 354). Der Gesetzestext findet sich unter folgendem Link:
Auch das Arbeitsgesetz (ArG) und die dazu gehörenden Verordnungen enthalten Bestimmungen über den Arbeitnehmerschutz. Im Arbeitsgesetz geht es um Themen wie Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, zulässige Höchstarbeitszeiten, Pausen, Nacht- und Sonntagsarbeit, Schichtarbeit, Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen, Schutz jugendlicher Arbeitnehmer.
Nicht alle Arbeitsverhältnisse unterstehen dem Arbeitsgesetz. Nicht darunter fallen - abgesehen von einigen Bestimmungen über den Gesundheitsschutz - die öffentlichen Verwaltungen, die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs, landwirtschaftliche Betriebe und private Haushaltungen (Art. 2 ArG). Grundsätzlich nicht anwendbar ist das Arbeitsgesetz auch auf Arbeitnehmer, die eine höhere leitende Tätigkeit, eine wissenschaftliche oder eine selbständige künstlerische Tätigkeit ausüben. Dasselbe gilt für Lehrer, Erzieher, Aufseher in Anstalten, Handelsreisende und Heimarbeitnehmer (Art. 3 ArG).
Für Temporärarbeitnehmer ist das Arbeitsvermittlungsgesetz (AVG) mit der dazu gehörenden Verordnung eine wichtige Rechtsquelle, für Lernende das Berufsbildungsgesetz, für Arbeitnehmer mit ausländischem Pass das Ausländergesetz (AuG). Von grosser Bedeutung im Arbeitsrecht sind ferner die Gesetze, die die verschiedenen Zweige der Sozialversicherung regeln (AHVG, BVG, UVG, FamZG usw.). Die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer und der Arbeitnehmervertretungen ergeben sich aus dem Mitwirkungsgesetz (MwG).
Das Gleichstellungsgesetz (GlG) regelt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufgrund ihres Geschlechts nicht benachteiligt werden dürfen. Dieses Diskriminierungsverbot gilt insbesondere für die Anstellung, Aufgabenzuteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung.
SR 412.10 Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, BBG)
Als Einzelarbeitsvertrag wird der zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber abgeschlossene Arbeitsvertrag bezeichnet. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich zur Leistung von Arbeit im Dienste des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber verpflichtet sich zur Bezahlung des Lohnes (Art. 319 OR). Im Normalfall wird der Arbeitsvertrag unbefristet abgeschlossen. Es ist aber auch möglich, den Arbeitsvertrag von vornherein zu befristen, so dass das Arbeitsverhältnis zum festgelegten Zeitpunkt ohne Kündigung endet.
Der GAV ist ein Vertrag zwischen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmerverbänden (Gewerkschaften). Er regelt die Lohn- und Arbeitsbedingungen in den ihm unterstellten Arbeitsverhältnissen.
Der GAV muss von allen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die Mitglied einer GAV-Partei sind oder sich dem GAV angeschlossen haben (angeschlossene Arbeitgeber und Arbeitnehmer), beachtet werden. Anders als bei einem normalen Vertrag bewirkt der GAV eine Bindung der angeschlossenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die am Vertragsschluss selber gar nicht beteiligt waren. Da die Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Mitglieder ihrer Verbände Einfluss auf die Vertragspolitik haben, ist diese Bindungswirkung jedoch gerechtfertigt.
Gesamtarbeitsverträge enthalten Bestimmungen über Lohn, Lohnfortzahlung, Überstunden, Ferien, Kündigung usw. Diese Punkte sind auch Inhalt der Einzelarbeitsverträge. Sie werden „normative Bestimmungen" des GAV genannt. Gesamtarbeitsverträge enthalten jedoch zusätzlich auch noch Bestimmungen, die das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien des GAV regeln. Diese werden „schuldrechtliche Bestimmungen" genannt. Beispiele dafür sind Bestimmungen über Schiedsgerichte, paritätische Einrichtungen, Konventionalstrafen und die Friedenspflicht. Die schuldrechtlichen Bestimmungen binden nur die vertragschliessenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, nicht aber die einzelnen angeschlossenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.Die gesetzliche Grundlage ist Art. 356 OR. Artikel 356 OR
Arbeitsverhältnisse unterstehen in folgenden Fällen einem Gesamtarbeitsvertrag:
- wenn für die betreffende Branche ein GAV existiert, und zudem a) der Arbeitnehmer Mitglied eines vertragsschliessenden Arbeitnehmerverbandes (Gewerkschaft) ist, und b) der Arbeitgeber entweder direkt Vertragspartei des GAV oder aber Mitglied eines vertragsschliessenden Arbeitgeberverbandes ist.
- wenn der Arbeitgeber zwar nicht Mitglied des Arbeitgeberverbands seiner Branche ist, sich aber durch einen schriftlichen Anschlussvertrag dem GAV angeschlossen hat und auch der Arbeitnehmer Mitglied eines vertragsschliessenden Arbeitnehmerverbandes ist. Möglich ist auch der Anschluss eines Arbeitnehmers, wenn er nicht Mitglied des Arbeitnehmerverbands, jedoch sein Arbeitgeber Mitglied eines Arbeitgeberverbands ist. Jeder Anschlussvertrag bedarf der schriftlichen Zustimmung der GAV-Vertragsparteien. Der Anschluss an den GAV bewirkt, dass einzelne Arbeitgeber oder Arbeitnehmer unmittelbar einem bestimmten GAV unterstellt sind, ohne dass sie Mitglied eines vertragschliessenden Verbandes werden müssen. Der Anschliessende gilt als beteiligter Arbeitnehmer bzw. beteiligter Arbeitgeber (Art. 356b Abs. 1 OR). Dieser förmliche GAV-Anschluss ist in der Praxis selten. Viel häufiger kommt es vor, dass ein Einzelarbeitsvertrag ganz oder teilweise auf die Bestimmungen des Branchen-GAV verweist. Durch einen solchen Verweis werden die Bestimmungen, auf die verwiesen wird, in den Einzelarbeitsvertrag übernommen. Es entsteht jedoch keine Bindungswirkung des GAV. Eine blosse Änderung des Einzelarbeitsvertrags genügt, um die betreffenden GAV-Bestimmungen wieder ausser Kraft zu setzen.
- wenn sie in den Geltungsbereich eines allgemeinverbindlich erklärten GAV fallen. Allgemeinverbindlich erklärt ist ein GAV, wenn er durch die zuständige Behörde des Bundes oder eines Kantons auf sämtliche Arbeitsverhältnisse des betreffenden Wirtschaftszweiges oder Berufes ausgedehnt wurde. In diesem Fall bindet der GAV alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Branche, und zwar unabhängig von einer Mitgliedschaft in einem vertragsschliessenden Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerverband (Art. 1 AVEG).
Eine Liste der vom Bund und den Kantonen allgemeinverbindlich erklärten GAV findet sich unter diesem Link:
Eine Liste der vom Bund und den Kantonen allgemeinverbindlich erklärten GAV
Jeder GAV enthält Bestimmungen über den Geltungsbereich (meistens ganz am Anfang). Der GAV definiert den sachlichen Geltungsbereich, d.h. auf welchen Wirtschaftszweig oder Teil eines Wirtschaftszweigs er anwendbar ist. In der Umschreibung des persönlichen Geltungsbereichs werden oft bestimmte Kategorien von Arbeitnehmenden ganz oder teilweise vom Geltungsbereich ausgeschlossen. Häufig findet sich zum Beispiel die Bestimmung, dass leitende Angestellte nicht unter den GAV fallen. Nur wenn ein bestimmtes Arbeitsverhältnis in dem im GAV selbst definierten Geltungsbereich liegt, ist der GAV anwendbar.
Es kann sein, dass auf einen Betrieb mit verschiedenen Tätigkeiten mehrere GAV zur Anwendung gelangen, z.B. wenn der Betrieb aus einer Bauabteilung und einer davon unabhängigen Schreinerei besteht (separate Betriebsabteilungen). Häufig kommt jedoch in einem Betrieb nur ein einziger GAV zur Anwendung. Welcher GAV das ist, hängt davon ab, in welcher Branche der betreffende Betrieb sein Schwergewicht hat. Werden zum Beispiel in einem Baubetrieb neben einer grossen Zahl von Maurern auch noch einige wenige Gipser beschäftigt, so ist der Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe und nicht der GAV für das Maler- und Gipsergewerbe anwendbar, und zwar auch auf die Gipser. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die Gipser einen selbständigen Betriebsteil darstellen, dann wird auf sie der eigene GAV angewendet. Für die Beurteilung massgebend ist immer der Betrieb, nicht das ganze Unternehmen (das allenfalls aus mehreren Betrieben besteht).
Die normativen Bestimmungen des GAV, also diejenigen Bestimmungen, die auch Gegenstand eines Einzelarbeitsvertrags sein können (siehe Frage «Was ist ein Einzelarbeitsvertrag?»), sind direkt auf die dem GAV unterstehenden Arbeitsverhältnisse anwendbar. Der GAV regelt die Lohn- und Arbeitsbedingungen in verbindlicher Weise. Zu Lasten der Arbeitnehmenden darf von diesem Schutzniveau im Einzelarbeitsvertrag nicht abgewichen werden. Bestimmungen eines Einzelarbeitsvertrags, die gegen den GAV verstossen, sind nichtig und werden durch die Bestimmungen des GAV ersetzt. Hingegen sind Abreden im Einzelarbeitsvertrag zulässig, die für die Arbeitnehmenden eine Besserstellung gegenüber den Lohn- und Arbeitsbedingungen nach GAV darstellen. Zu beachten ist allerdings, dass nicht alle GAV Lohnbestimmungen enthalten.
Viele GAV werden für eine bestimmte Vertragsdauer, z.B. für drei Jahre, abgeschlossen. Wenn es den Sozialpartnern nicht gelingt, einen neuen GAV abzuschliessen, endet die Bindungswirkung des GAV mit dem Ablauf der Vertragsdauer. Andere GAV sind auf unbestimmte Dauer abgeschlossen; sie können durch Kündigung - unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist - aufgehoben werden. In beiden Fällen endet zwar die Bindungswirkung des GAV. Hingegen ist es nicht so, dass mit der Beendigung des GAV einfach das OR automatisch an die Stelle des GAV tritt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der GAV-Inhalt als einzelarbeitsvertragliche Abrede weiterhin gilt. Allerdings kann dieser Inhalt durch Änderungskündigung abgeändert werden, auch zu Lasten der Arbeitnehmer. Auf neu abgeschlossene Einzelarbeitsverträge hat der ausser Kraft getretene GAV aber in jedem Fall keinen Einfluss mehr. Hier gilt das OR, wenn die Vertragsparteien nichts anderes abmachen.
GAV können bei den Vertragsparteien bezogen werden. Viele sind zudem im Internet aufgeschaltet. Zu erwähnen sind insbesondere die Internetseite des SECO, wo die allgemeinverbindlich erklärten GAV abrufbar sind, sowie der GAV-Service der Gewerkschaft Unia. Auf der Internetseite des Bundesamtes für Statistik findet sich schliesslich ein Verzeichnis der in der Schweiz bestehenden GAV und Normalarbeitsverträge.
Gesamtarbeitsverträge - Kantone
GAV-Service der Gewerkschaft Unia
Verzeichnis der in der Schweiz bestehenden GAV und Normalarbeitsverträge
Der NAV ist im Gegensatz zum GAV keine vertragliche Vereinbarung, sondern eine durch die Behörde erlassene Verordnung, die für bestimmte Arbeitsverhältnisse unmittelbar anwendbare Bestimmungen (Art. 360 Abs. 1 OR) betreffend Abschluss, Inhalt und Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufstellt (Art. 359 Abs. 1 OR). NAV werden vom Bundesrat erlassen, wenn sie für mehrere Kantone Gültigkeit haben (Art. 359a Abs. 1 OR); bzw. von den Kantonen, wenn sie nur für einen Kanton gelten. Das OR verpflichtet die Kantone, für Arbeitnehmende in der Landwirtschaft und im Hausdienst einen NAV zu erlassen, welcher namentlich die Arbeits- und Ruhezeiten und die Arbeitsbedingungen der weiblichen und jugendlichen Arbeitnehmer regeln (Art. 359 Abs. 2 OR).
Es ist zu unterschieden zwischen gewöhnlichen NAV und NAV mit zwingenden Mindestlöhnen, die bei wiederholter missbräuchlicher Unterbietung von orts-, berufs- oder branchenüblichen Löhnen innerhalb einer Branche oder eines Berufs erlassen werden.
Gewöhnliche Normalarbeitsverträge regeln verschiedene Bereiche des Arbeitsverhältnisses. Es ist aber zulässig, im Einzelarbeitsvertrag von den Lohn- und Arbeitsbedingungen gemäss NAV zu Lasten der Arbeitnehmenden abzuweichen. Je nach NAV wird verlangt, dass die von NAV abweichenden arbeitsvertraglichen Bestimmungen schriftlich niedergelegt werden müssen.
Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen (Art. 360a OR) enthalten ausschliesslich Mindestlohnvorschriften. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen NAV sind sie jedoch zwingend. Sie dürfen also weder durch GAV noch durch Einzelarbeitsvertrag zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgeändert werden (Art. 360d Abs.2 OR).
Der Anwendungsbereich der NAV ist in den betreffenden Erlassen geregelt. NAV sind in der Regel über Internet verfügbar. Kantonale NAV können zudem bei den kantonalen Materialzentralen bezogen werden. Die NAV des Bundes sind in der Systematischen Sammlung des Bundesrechts (SR) abrufbar.
Letzte Änderung 10.01.2022